Schule – Quo vadis?

Schon seit frühester Kindheit spielt für mich das Thema „Schule und Unterricht“ eine zentrale Rolle in meinem Leben. Aufgewachsen in einer Familie mit vielen Lehrern und Lehrerinnen, bekam ich bereits vor dem eigenen Schuleintritt die täglichen Herausforderungen und Probleme des Schulalltags mit. Den Entschluss selbst Lehrerin zu werden fasste ich relativ kurzfristig, als mir zu Studienzeiten bewusst wurde, dass ich eher ein Familienmensch, immer gern umgeben von vielen Kindern, war als ein internationaler Karrieretyp. Ich stieß immer wieder auf Unverständnis wegen meiner Entscheidung, nicht, wie durch mein Studium vorgesehen, an einer höheren Schule zu unterrichten, sondern lieber freiberuflich tätig zu sein. Der Gedanke mich einem System anpassen zu müssen, dem ich eigentlich wenig Positives abgewinnen konnte, bereitete mir schlichtweg zu viel Kopfzerbrechen. Dafür hatte ich durch meine Mutter, meine Tanten und später auch Schwiegereltern – allesamt Lehrer an unterschiedlichen Schulformen – zu viel Einblick in das Schulleben bekommen und Entwicklungen miterlebt, die ich mit meinem Gewissen nie vereinbaren hätte können bzw. nach wie vor nicht kann.

Wie gut tat es, gestern auf ein Interview mit Michael Winterhoff, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, zu stoßen und bestätigt zu bekommen, was ich selbst seit vielen Jahren im Schulsystem, auch bei der Ausbildung meiner eigenen drei Kinder (14, 11 & 8), beobachten kann. Unter dem Deckmantel der Individualisierung und Kompetenzorientierung werden die Schüler an immer mehr Volksschulen in einer Art und Weise unterrichtet, die genau das Gegenteil dessen bewirkt, worauf sie ursprünglich abzielt, nämlich die Förderung ALLER Kinder. Zahlreiche Schüler sind durch die offenen Lernformen (keine Sitzordnung, keine einheitlichen Hausübungen, Fokus auf spielerischem Lernen und Erforschen ohne regelmäßige Wiederholungen, keine vorgegebenen Abgabefristen, komplett selbstständiges Erarbeiten von Themengebieten) schlichtweg überfordert. Wer keine Unterstützung durch die Eltern bekommt, verliert immer mehr den Anschluss. Gute Schüler, die leicht lernen oder jene, die zuhause viel gefördert werden, kommen mit dem System zweifelsohne zurecht. Die Lehrmethode mag besonders für überdurchschnittlich begabte Kinder sogar zahlreiche Vorteile bringen. Eine durchschnittliche österreichische Schulklasse besteht aber nun einmal nicht nur aus lauter kleinen Genies, sondern umfasst ein breites Spektrum, sodass es einem Lehrer quasi nicht möglich ist in entsprechendem Ausmaß auf die Talente und Defizite des Einzelnen einzugehen. Folglich beginnt die Schere immer weiter auseinanderzuklaffen. 

Es bleibt zu hoffen, dass Verantwortliche in Politik und Bildung möglichst rasch einlenken, damit größerer Schaden abgewandt werden kann und wir keine Generationen von Kindern hervorbringen, die für ein Studien- und Berufsleben vollkommen ungeeignet sind. Um nicht falsch verstanden zu werden: auch ich spreche mich dezidiert gegen veraltete Lehrmethoden mit nahezu militärischem Drill und reinem Frontalunterricht aus. Um einen guten Lernerfolg zu erzielen, soll das Kind natürlich auch Freude am Unterricht haben. Doch wie Herr Winterhoff sagt, braucht es, wie übrigens auch in der Erziehung, Anleitung und Struktur, damit dieser Erfolg tatsächlich möglich ist.