XXL statt bloß XS: Mein Plädoyer für die Großfamilie

In einer Welt, in der so vieles geplant und optimiert wird, bringt die Entscheidung eine Familie zu gründen für viele Paare erstmal eine Menge Überlegungen mit sich. Der scheinbar richtige Zeitpunkt wurde in den letzten Jahren bzw. Jahrzehnten immer weiter nach hinten verlegt, da Selbstentfaltung und Karriere in den Vordergrund rückten. Damit verbunden kam es vermutlich auch zum Trend hin zur kleineren Familie, sind doch schließlich Zeit und Ressourcen begrenzt.

Ab der 3. Schwangerschaft, so zeigt meine Erfahrung, wird man gern einmal entgeistert gefragt, ob das denn tatsächlich so geplant gewesen wäre. Für viele, stellte ich rasch fest, scheint heute die Vorstellung, mehr als zwei Kinder zu haben, abwegig. Die Argumente sind vielfältig. „Zwei Kinder maximal, denn dann kann immer ich mich um eines kümmern und der Partner um das andere. Bei mehreren Kindern geht das nicht.“ „Aber man muss den Kindern doch auch etwas bieten können!“ „Wie stellst du dir das mit den Räumlichkeiten vor?“ „Deinen Beruf kannst du dir dann abschminken“ waren nur einige der Sätze, die ich oftmals zu hören bekam. Nun möchte ich sagen, dass man mit drei Kindern ja, so finde ich, noch nicht wirklich in die Kategorie einer Großfamilie fällt (oder doch?). Nachdem es in unserem Freundes- und Bekanntenkreis einige Paare mit vier oder mehr Kindern gibt und ich regelmäßig Einblick in deren Alltag gewinne, will ich gern schildern, weshalb für mich Familien mit vielen Kindern einfach großartig sind. 

In der Erziehung meiner Kinder ist mir Selbstständigkeit ein großes Anliegen. Natürlich stehe ich als Mutter für den Fall der Fälle stets mit Rat und Tat zur Seite, doch möchte ich, dass sich die Kinder allein zu helfen wissen und aus ihren eigenen Erfahrungen lernen. Bei vielen Ein-Kind-Familien sehe ich, wie Mutter und Vater nahezu alles übernehmen und regeln, sprachlich oft auch erkennbar an „Wir“-Formulierungen. Da hat dann nicht Sebastian einen Test oder eine Untersuchung, sondern „WIR schreiben heute einen Englisch Test und WIR werden heute Nachmittag noch geimpft“ – Eltern und Kind verschmelzen zu einer Einheit. Bei mehreren Kindern lernt man als Mutter rasch, Verantwortung zu übergeben. Ich persönlich finde diesen Lernprozess wichtig, sowohl für mich als Mutter, als auch für das Kind, das früh lernt selbstständig zu werken und (altersgerechte) Entscheidungen zu treffen. 

Ein weiterer Punkt, der bei zahlreichen Argumenten wider die Großfamilie, aufgegriffen wird, betrifft das liebe Geld. „Ja, aber wie stellst du dir das denn vor? Ihr habt nicht genügend Zimmer! Später wollen sie alle studieren! Und sie brauchen alle ein Auto! Eine Wohnung! Und ihr wollt ja auch auf Urlaub fahren, oder nicht?“ Tatsächlich ist es so, dass zahlreiche Eltern Überlegungen anstellen, die rein materialistischer Natur sind. Immer wieder wurde auch mir gesagt, ich müsse doch bedenken, dass wir unseren Kindern „etwas bieten müssen“. Nun, mit zunehmendem Alter und auch mit einer größeren Anzahl von Kindern ändern sich gewisse Einstellungen das Leben betreffend. Mir scheint, dass Mitglieder einer Großfamilie rascher zu der Erkenntnis gelangen, was die wirklich wesentlichen Dinge sind, auf die es ankommt. So erfolgt, zum Beispiel, die Vermittlung wichtiger gesellschaftlicher Werte, wie gegenseitiger Respekt, Toleranz, Hilfsbereitschaft und Rücksichtnahme, ganz automatisch von klein an, während andere Kinder häufig erst in einem ihnen fremden größeren sozialen Gefüge wie Kindergarten und Schule damit konfrontiert werden. Für mich ist es immer wieder wunderbar zu beobachten, wie die Geschwister voneinander lernen und profitieren.

Das Leben in der Großfamilie, so durfte ich erfahren, bringt es zudem mit sich, dass oft mit allem recht sorgsam umgegangen wird. Wem nämlich weniger zur Verfügung steht (was bei Großfamilien häufig der Fall ist), der passt auf seine Sachen zwangsläufig auch besser auf. Abgesehen davon werden aus Platzgründen meist erst gar nicht so viele Dinge angeschafft, sondern stattdessen Vorhandenes weitergegeben und wiederverwendet. Ich persönlich empfinde es ja als sehr schlimm, dass unsere Gesellschaft zu einer derartigen Wegwerfgesellschaft verkommen ist und Ressourcenverschwendung quasi an der Tagesordnung steht. Gemeinsam mit meiner Familie arbeite ich daran hier Bewusstsein zu schaffen und minimalistischer zu leben – mehr dazu bald. Einstweilen möchte ich gern zum Denken anregen und versuchen Vorurteile, denen Großfamilien heute häufig ausgesetzt sind, aus dem Weg zu räumen. Für mich ist und bleibt eine große Kinderschar einfach etwas Wunderschönes.